Schichtarbeit

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18.07.2008 Wer schlecht schläft, stirbt früher - wie ungesund sind Nacht- und Wechselschicht?

Wer schlecht schläft, stirbt früher - wie ungesund sind Nacht- und Wechselschicht?
Der menschliche Organismus ist tagaktiv. An Nachtschicht kann man sich nicht gewöhnen. Nacht- und Schichtarbeit stört ganze funktionale Organsysteme beträchtlich und kann eine Vielzahl von teils schweren Erkrankungen auslösen und die Lebensdauer verkürzen. Das belegt jetzt eindrucksvoll eine Erhebung zu den Folgen von Nacht- und Schichtarbeit, die von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde.

Verschiedene und teilweise nachhaltige negative Folgen von Nacht- und Schichtarbeit auf die Gesundheit der Beschäftigten sind schon seit Jahrzehnten bekannt. Bereits in den 1980er Jahren war von Professor Hettinger an der Bergischen Universität Wuppertal auf solche Gesundheitsschädigungen hingewiesen worden, und Professor Gine Elsner von der Universität Bremen hatte 1993 gezeigt, dass Schichtarbeit in Druckereien das Leben der dort Beschäftigten verkürzen kann. Im Januar 1992 hatte das Bundesverfassungsgericht Nachtarbeit als grundsätzlich für jeden Menschen schädlich beurteilt und hervorgehoben, dass die unbeschränkte Freigabe von Nachtarbeit gegen Artikel 2 des Grundgesetzes verstößt. In diesem Sinne hatte das Europaparlament auch ein grundsätzliches Verbot von Nachtarbeit gefordert.

Weil der Mensch, biologisch betrachtet, ein tagaktiver Organismus ist, kann er sich an Nachtarbeit nicht gewöhnen. Wird das nicht berücksichtigt, so rächt sich die Natur und es kommt zu chronischen Spätschäden bis hin zu bösartigen Tumoren, was inzwischen durch das Internationale Krebsforschungszentrum anerkannt wird. Deshalb muss Nachtarbeit im Interesse der Gesundheitsfürsorge begrenzt werden.

918 ausgefüllte Fragebögen als Basis
In einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Erhebung haben Christoph Klug, Rainer Frentzel-Beyme, Uwe Helmert und Andreas Timm untersucht, welche gesundheitlich abträglichen Folgen Nacht- und Schichtarbeit auf die Beschäftigten hat. Die Studie geht auf Anregungen von Betriebsräten und Gewerkschaftern zurück, die 2006 bei der Veranstaltung "Offene Universität" gegeben wurden. "Mit viel Idealismus, mit Unterstützung von der IG Metall, der IG BCE und ver.di, mit der Förderung durch die Hans-Böckler-Stiftung und der tatkräftigen Hilfe von Betriebsräten, Vertrauensleuten und aktiven Kolleginnen und Kollegen konnten wir diese Erhebung auf den Weg bringen", schreiben die Wissenschaftler in der Einleitung ihres Berichts.

Die Erhebung erstreckte sich über den Zeitraum Oktober 2007 bis März 2008. Insgesamt wurden über 5000 Fragebögen zum Thema "Spätfolgen von Schlafstörungen infolge Schicht- und Nachtarbeit" bundesweit ausgegeben - in der Automobilindustrie, in Verkehrsbetrieben, der chemischen Industrie, dem Bergbau, in Stahlwerken, Medien, Verlagen und im Gesund-heitswesen. Die Fragebögen wurden von Betriebs- und Personalräten an die Beschäftigten verteilt. Wo es möglich war, wurde die Ausgabe mit gründli-cher Information durch Schulungen oder Seminare zum Thema verbunden.

Der Rücklauf betrug 918 Fragebögen. Zu bedenken ist, dass das Ausfüllen der Fragebögen teilweise gegen erhebliche Widerstände geschehen musste - bei Arbeitgebern, aber auch bei Beschäftigten selbst. Vor allem jüngere Arbeiter zeigten sich zuweilen als heftige Befürworter von Nachtarbeit, weil sie (noch) keine negativen Folgen verspürten und weil sie das Geld brauchten oder weil sie die "ruhigere, stressärmere Arbeitszeit in der Nacht" vorzogen.

725 der eingegangenen 918 Fragebögen entfielen auf Erwerbstätige. 193 wurden von den Partnerinnen und Partnern der Schichtarbeiter ausgefüllt. 495 (68,3 Prozent) waren in Nachtschicht tätig, 90 Befragte hatten früher einmal in Nachtschicht gearbeitet (12,4 Prozent) und 140 Beschäftigte hatten gar nicht in Nachtschicht gearbeitet (19,3 Prozent). Das Durchschnittsalter der Befragten betrug 42,6 Jahre.

Beunruhigende Ergebnisse
Die jetzt vorliegenden Ergebnisse der Erhebung sind beunruhigend. Denn sie bestätigen die These, dass durch Nacht- und Schichtarbeit ganze funktionale Organsysteme wie das Verdauungs-, das Herz-Kreislauf-, das Hormon-, das Immun- und das Zentrale Nervensystem (ZNS) empfindlich und auch irreversibel gestört werden können. Das ist umso beunruhigender, als Nacht- und Schichtarbeit im Zuge immer flexiblerer Arbeitszeiten weiter verbreitet werden. Das Arbeitszeitgesetz bietet dagegen kaum eine Handhabe. Dort heißt es ja wörtlich: "Zweck des Gesetzes ist es, die Rahmenbedingungen für flexible Arbeitszeiten zu verbessern" (Paragraf 1).

Nachtschicht mindert die Schlafqualität
Die Analyse hat bestätigt, dass es einen grundlegenden signifikanten Zusammenhang zwischen Schlafstörungen, Schlafqualität und Nachtschichtarbeit gibt. Darüber hinaus wird deutlich, dass es auch Alters- und Berufsstatuseffekte sowie geringe geschlechtsspezifische Einflüsse gibt. Da mit zunehmenden Alter die Fähigkeiten des Körpers zur Selbstregulation abnehmen, glauben viele Arbeitnehmer nicht, dass sie diese Arbeit bis zum Erreichen des Rentenalters durchhalten können: "Schichtarbeit ist keineswegs bis zum 67. Lebensjahr zu machen. Daher sollten Schichtarbeiter früher in Rente gehen, sonst werden sie nichts von ihrer Rente haben."

Im Zuge der Internationalisierung der Produktion mit Flexibilisierung und Intensivierung der Arbeit ergeben sich für eine wachsende Zahl von Beschäftigten immer stärkere Belastungen und eine deutliche Zunahme des Leistungsdrucks, wodurch sich der Anteil von Schlafstörungen erhöht und sich die Schlafqualität deutlich verringert.

Beträchtliche Folgekosten
Nachtschichtarbeitern mangelt es an erholsamem Schlaf, der von elementarer Bedeutung für die Funktion des Organismus ist. Aus zunehmenden Schlafstörungen und der Abnahme der Schlafqualität in der Gruppe der Schicht- und NachtschichtarbeiterInnen ergeben sich Krankheiten, die die Gesundheit und die Lebensqualität des einzelnen Menschen in Schichtarbeit bzw. Nachtschichtarbeit herabsetzen und das Leben verkürzen können.

Darüber hinaus ist fehlender erholsamer Schlaf in der Nacht auch eine Quelle zusätzlicher volkswirtschaftliche Kosten in Höhe von vielen Milliarden Euro. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin schätzt, dass in Deutschland allein für die Behandlung arbeitsbedingter Erkrankungen jährlich mindestens 15 Milliarden Euro aufgewendet werden müssen. In dieser Berechnung sind die Folgekosten für die Behandlung von Tumoren nicht enthalten. Streng genommen sind dies betriebsbedingte Kosten, deren vollständige Übernahme durch die Arbeitgeber gerechtfertigt scheint.

Diese Teilergebnisse machen deutlich, dass ein weiterer Forschungsbedarf im Bereich Nachtschichtarbeit und Schlafforschung dringend erforderlich ist.

Weitere Informationen
Christoph Klug, Rainer Frenzel-Beyme, Uwe Helmert, Andreas Timm: Wer schlecht schläft, stirbt früher - wie ungesund sind Nacht- und Wechselschicht? Erhebung zu den Folgen von Nacht- und Schichtarbeit mit Förderung der Hans-Böckler-Stiftung, Abschlussbericht, 62 Seiten

Letzte Änderung: 08.07.2008