Delegiertenversammlung

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23.11.2015 Delegiertenversammlung der IG Metall Bruchsal-Bretten verabschiedet Resolution zur aktuellen Asyl- und Flüchtlingssituation.

Die Delegiertenversammlung der IG Metall Bruchsal-Bretten am Donnerstag, den 19. November im Bildungszentrum Flehingen stand nachhaltig unter dem Eindruck der aktuellen Asyl- und Flüchtlingssituation sowie der terroristischen Anschläge der Terrormiliz IS in Beirut und Paris. Entsprechend stand ein Vortrag von Petra Wlecklik aus der IG Metall-Vorstandsverwaltung sowie eine Schilderung der Flüchtlingssituation im Landkreis Karlsruhe durch den Ersten Landesbeamten im Landratsamt Karlsruhe, Knut Bühler, im Mittelpunkt der Delegiertenversammlung.

Zunächst stellte jedoch Gewerkschaftssekretär Sebastian Gasior das Gemeinsame Erschließungsprojekt (GEP) Baden-Württemberg vor, das im Oktober die Arbeit vor Ort begonnen hat. Das Ziel von GEP sei es, so Sebastian Gasior, in den nächsten neun Jahren Mitglieder zu aktivieren, Beschäftigte zu beteiligen, neue Gewerkschaftsstrukturen aufzubauen.

Jan Weishäupl, freigestellter Betriebsrat und Vertrauenskörperleiter der SEW Eurodrive in Bruchsal, berichtete vom 23. Ordentlichen Gewerkschaftstag der IG Metall, der unter dem Motto "Gute Arbeit. Gutes Leben - IG Metall" vom 18. bis 24. Oktober in Frankfurt stattfand. Er berichtete über den enormen Umfang der äußerst anstrengenden Arbeit, die die Delegierten beim Gewerkschaftstag zu bewältigen hatten. Trotzdem sei es eine "super tolle Erfahrung" für ihn gewesen.

Danach führte Petra Wlecklik in das Thema "Flucht und Asyl - die aktuelle Lage" ein. Die Referentin arbeitet seit neun Jahren als Gewerkschaftssekretärin im Bereich Migration und Integration bei der IG Metall-Vorstandsverwaltung in Frankfurt. Zu Beginn ihres Vortrages betonte Wlecklik ihr Anliegen, vor allem Orientierung in diesen schwierigen Zeiten geben zu wollen. Bei der aktuellen Diskussion um Flüchtlinge seien Dialog und Begegnung äußerst wichtig und es gehe darum, ob und wie die Demokratie lernfähig sei. "Angst und Verunsicherung in Zeiten wie diesen sind menschlich, aber kein Ersatz für Menschlichkeit", so Petra Wlecklik in einem Statement. Es gäbe keine Entschuldigung für das Schließen von Türen und jeder Mensch sei für sich dafür verantwortlich, wie er mit anderen Menschen umgehe.

Petra Wlecklik griff insbesondere auch die oft gestellte Frage auf, warum sich die IG Metall überhaupt mit den Themen Flucht und Asyl beschäftige. Hier verwies sie auf die geschichtliche Verpflichtung aus den im Faschismus gemachten Erfahrungen und erläuterte diese am Beispiel des Gewerkschafters und Antifaschisten Willi Bleicher, der, wie viele aufrechte Demokraten und andere Gegner des Nationalsozialismus verhaftet wurde und bis zur Befreiung im Frühjahr 1945 im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert war. Ebenso verwies sie auf die vielen Millionen von Vertriebenen, die zwischen 1945 und 1949 gerade auch hier in Baden-Württemberg ansiedelten, jedoch oftmals nicht mit offenen Armen, oft jedoch mit offener Ablehnung empfangen wurden. Mittlerweile seien aber diese Flüchtlinge in unserer Gesellschaft integriert. Weiter verwies die Referentin auf die Satzung der Gewerkschaft, wonach sich die IG Metall "für die Sicherung und den Ausbau des sozialen Rechtsstaates" einsetze sowie "für Frieden, Abrüstung und Völkerverständigung".

Was tun? Diese von der Referentin in den Raum gestellte Frage beantwortete sie damit, dass Antworten gefunden werden müssten, wie die Fluchtursachen bekämpft werden könnten, dass jedoch in der Tarifpolitik die Mindeststandards wie beispielsweise der Mindestlohn nicht angegriffen werden dürften und in der Sozialpolitik das Augenmerk auf Renten und Wohnungsbau gelegt werden müsste. Die Gesellschaft dürfe nicht gespalten werden, sie dürfe sich nicht spalten lassen, wichtig seinen persönliche Haltung und Positionierung, Hetze müsse unterbunden werden. In Hinblick auf die Terroranschläge in Beirut und Paris betonte Wlecklik, dass es jetzt darum gehe, den Terror nicht als Vorwand zur Einschränkung oder gar Abschaffung der Demokratie anzuführen.

In seinem Vortrag zum Thema Asylbewerber in Landkreis Karlsruhe berichtete der Erste Landesbeamte im Landratsamt Karlsruhe, Knut Bühler, zunächst über Fluchtherkunft und Entwicklung der Flüchtlingszahlen. Danach kamen in Baden-Württemberg im Oktober 2015 48,5 % der Asylbewerber aus Syrien, 45,4 % aus sonstigen Gebieten und 6,1 % aus dem Westbalkan. Bundesweit kamen bisher fast 80 % aller Asylbewerber aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. Für Baden-Württemberg wird bis Ende des Jahres eine Zuweisung von ca. 100.000 Asylbewerbern erwartet, wovon dem Landkreis Karlsruhe bei etwa 430.000 Einwohnern voraussichtlich 9.600 zugewiesen werden.

Danach erläuterte Bühler das System der Aufnahme von Flüchtlingen. Zunächst werden Flüchtlinge in von den Regierungspräsidien betriebenen Landeserstaufnahmestellen (LEA) untergebracht, wo sie von wenigen Wochen bis zu sechs Monaten verbleiben. Danach werden Asylbewerber bis zu zwei Jahre in Gemeinschaftsunterbringungen (GU) einquartiert, die von den Landratsämtern und den Stadtkreisen betrieben werden. Die darauf folgenden Anschlussunterbringungen (AU) ist in der Zuständigkeit von Städten und Gemeinden und funktioniert wie die Obdachlosenunterbringung.

Bühler verwies auf die Schwächen des Systems; das gesetzlich gedachte Aufnahmeverfahren funktioniere so nicht. Als Beispiel nannte er Jugendliche, die Schulen besuchen müssten. Per 17. November 2015 gab es im Landkreis 97 Fälle unbegleiteter Jugendlicher. Bühler wies auch darauf hin, dass die Anschlussunterbringung in Gebäuden "aus dem Bestand" nicht möglich sei; die Gemeinderäte in den Städten und Gemeinden müssten entscheiden zu bauen.

Das oft geäußerte Vorurteil, den Flüchtlingen gehe es doch recht gut, wusste Bühler aus eigener Anschauung zu widerlegen. In der Landeserstaufnahmestelle Eggenstein-Leopoldshafen nächtigen die Flüchtlinge in Dreifach-Stockbetten, die Toilettenkabinen stehen im Hof und zum Duschen müssen die Asylbewerber in ein Nachbargebäude gehen. Ein Aufenthalt in einer Landeserstaufnahmestelle sei, so Bühler weiter, "alles andere als vergnügungssteuerpflichtig".

Wichtig sei es, den Menschen eine Tagesstruktur zu geben. Dazu werden die in Gemeinschaftsunterbringungen lebenden Menschen eingebunden in die Reinigung der Unterkünfte oder ins Waschen der Schmutzwäsche. Für 1,05 Euro je Stunde können auch gemeinnützige Arbeiten zum Beispiel auf Bauhöfen übernommen werden.

Ein wichtiges Anliegen von Knut Bühler war es, auf das ehrenamtliche Engagement von über 1.000 Mitbürgerinnen und Mitbürgern im Landkreis Karlsruhe hinzuweisen. Ehrenamtliche Einsatzbereitschaft sei zweifelsohne notwendig. Ehrenamtler geben beispielsweise erste örtliche Orientierung, machen Freizeitangebote, helfen bei Hausaufgaben oder begleiten die Asylsuchende zu Ärzten und Behörden.

Wegen der oft vorgebrachten Argumentation der Gefahr einer Zunahme der Kriminalität durch Asylbewerber zitierte Bühler den stellvertretenden Leiter des Polizeireviers Bruchsal: "In manches ehrenwerte Haus gehen wir öfter als in die GU (Gemeinschaftsunterkunft)."

Wichtig war dem Ersten Landesbeamten auch, auf den Stellenwert von Sprachkursangeboten hinzuweisen: "wenn wir jetzt Zeit verlieren, werden wir später doppelt und dreifach zahlen".

In seinem Schlusswort unterstrich Bühler wie enorm wichtig es sei, die Flüchtlinge sozial zu integrieren und dass es dazu eines funktionierenden Netzwerkes bedürfe. Ein Auseinanderdriften unserer Gesellschaft werde zwar von den Rechten gefördert, er jedoch sei zuversichtlich.

In der anschließenden Diskussion äußerte ein Gewerkschafter seine Befürchtungen. Schon heute hätten Kollegen, denen Arbeitslosigkeit drohe, Angst, dass die Gesellschaft nichts mehr für sie tue, da nur noch Geld für die Asylanten ausgegeben würde - für teure Uhren und teure Klamotten. Und diese Leute, die sich vor ihrem sozialen Abstieg fürchteten, würden dann vom rechten Rand abgefangen werden. Um dies zu verhindert, müssten Gewerkschaft und Kollegen aktiv werden.

Bei der Vorstellung des Geschäftsberichtes ging der 1. Bevollmächtigte der IG Metall Bruchsal-Bretten, Eberhard Schneider, auch auf die ausländerfeindlichen Kräfte im Landkreis Karlsruhe ein. Die Rechten seien derzeit bei uns extrem aktiv, so gelte es, die Demokratie zu verteidigen. Anlässlich einer Kundgebung der rechtsextremen SafD in Bruchsal standen 900 Mitbürgerinnen und Mitbürger als Unterstützer des Bündnisses "Wir für Menschlichkeit" 40 Anhängern der SafD gegenüber. Bei dem gleichzeitig stattfindenden Bürgerfest wurde ein stolzer Betrag gesammelt, mit dem Sprachkurse für Flüchtlinge finanziert werden sollen. In Wiesental demonstrierten 300 Menschen gegen einen Aufmarsch der SafD; die SafD sagte daraufhin ihre für Bretten geplante Kundgebung ab. Schneider weiter: "die Rechten testen überall, wir müssen als Demokraten dagegen halten. Ausländerfeindlichkeit hat hier nichts verloren."

Die Resolution der Delegiertenversammlung zur aktuellen Asyl- und Flüchtlingssituation wurde von den Delegierten verabschiedet:

"Die Delegierten der IG Metall Bruchsal-Bretten fordern die politisch Verantwortlichen und Arbeitgeber auf:

  • Mit einer offenen und solidarischen Flüchtlingspolitik den von kriegerischen Handlungen und von Gewalt betroffenen Menschen beizustehen.
  • Die universell geltenden Menschenrechte einzuhalten und den Menschen eine würdige Unterkunft zu bieten und die Kommunen mit den notwendigen finanziellen Mitteln unbürokratisch auszustatten. Außerdem gilt es, diese Menschenrechte vor Angriffen aus dem rechten Lager zu verteidigen.
  • Praktikums- und Ausbildungsplätze zu schaffen, um den ankommenden Menschen eine Perspektive zu bieten. Auf keinen Fall dürfen sie ausgebeutet und als billige Arbeitskräfte missbraucht werden. Der gesetzliche Mindestlohn ist einzuhalten.
  • Den Ankommenden in der Region zu ermöglichen, die deutsche Sprache kostenlos zu erlernen. Dies ist ein zentraler Schlüssel zur Integration.

Die IG Metall-Mitglieder der Verwaltungsstelle werden aufgefordert, in ihren Kommunen Flüchtlinge bei der Integration zu unterstützen. Für uns als IG Metall Bruchsal-Bretten stehen Werte wie Respekt, Anerkennung und Würde an erster Stelle.
Daher setzen wir uns dafür ein, dass die heute Ankommenden die MitbürgerInnen und KollegInnen von morgen werden.

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Knut Bühler

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Petra Wlecklik

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Blick in den Saal

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Sebastian

Sebastian

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Resolution der Delegiertenversammlung

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Letzte Änderung: 23.11.2015