Berthold Huber
Stuttgart - Ob Mindestlohn oder Altersteilzeit: Den Gewerkschaften fällt es derzeit nicht leicht, ihren Vorstellungen Gehör zu verschaffen. IG-Metall-Vize Berthold Huber ist dennoch optimistisch, die Politik in diesen Fragen zu
einer sinnvollen Lösung bewegen zu können. Leiharbeit ersetzt immer mehr reguläre Arbeitsplätze ,, "
2009 läuft das bisherige Altersteilzeitmodell aus. Braucht es eine Nachfolgeregelung?
Ich bin überzeugt, dass es eine Regelung geben muss, weil es vor allem in vielen Industriebereichen schlichtweg unmöglich ist, bis 67 zu arbeiten. Natürlich muss man parallel dazu die Arbeitswelt altersgerechter gestalten. Doch dies hat Grenzen. Es wird beispielsweise nicht gelingen, die komplette Produktionsstruktur in der Autoindustrie auf den Kopf zu stellen - schon allein, weil etwa der Aufbau einer Takt entkoppelten Produktion für ältere Kollegen Milliarden kosten würde.
Wie sollte eine Nachfolgeregelung aussehen?
Von der bisherigen Regelung haben rund eine Mio. Menschen Gebrauch gemacht. Und das Modell hat rund 380 000 jungen Menschen zu einem festen Arbeitsverhältnis verholfen. Dies sollte auch weiterhin möglich sein. Wir halten daher eine Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit weiter für sinnvoll - im Gegensatz zur Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA).
Finden Sie in Berlin überhaupt Gehör?
Wir haben immerhin schon erreicht, dass die Steuerfreiheit für die Aufstockungsbeträge zu den Sozialversicherungsbeiträgen erhalten bleibt. Das war keineswegs gesichert.
Mit wem reden Sie? Der SPD?
Wir sprechen auch mit den Sozialausschüssen in der Union. Dort haben wir genauso Unterstützung wie in den Betrieben, denn die kennen die Probleme aus der Praxis.
Wird es eine Lösung geben?
Ich bin auf jeden Fall nicht pessimistisch.
Die IG Metall ist in den letzten Jahren von ihrer ursprünglich ablehnenden Haltung zu Mindestlöhnen abgerückt. Warum?
Wir haben lange den Standpunkt vertreten, dass es an dieser Stelle keinen Eingriff des Staates in die Tarifpolitik geben darf. Doch die Öffnung Osteuropas war eine Zäsur. Die Niedriglohnkonkurrenz vor der Haustür hat den Druck immens erhöht. In den Westen haben sich seitdem immer mehr tariffreie Zonen hineingefressen, zum Teil mit Hungerlöhnen für die Beschäftigten. Deshalb fordern wir jetzt, dass der Gesetzgeber für diese tariffreien Zonen einen Mindestlohn festlegt, der sich an Tarifregelungen vergleichbarer Branchen orientiert. Ich halte dies für absolut notwendig und gerechtfertigt. Es ist doch nicht zu akzeptieren, dass jemand mit einem Vollzeitjob seinen eigenen Lebensunterhalt nicht bestreiten, geschweige denn eine Familie ernähren kann. Das darf auch ein Staat nicht akzeptieren.
Wie bewerten Sie den jetzt in der großen Koalition gefundenen Kompromiss?
Sehr kritisch, weil er gerade für die tariffreien Zonen keine Lösung gefunden hat. Da können wir nur die Union auffordern, dieses Thema nicht weiterhin aus ideologischen Gründen zur Seite zu schieben. Sich tot zu stellen, ist keine Lösung.
Zunehmende Auslagerung und Leiharbeit bedrohen ebenfalls die Bastionen der Gewerkschaften. Ist dieser Trend überhaupt aufzuhalten?
Wir können nicht jede Auslagerung verhindern. Ich will aber Leiharbeit auch nicht grundsätzlich stigmatisieren. Problematisch ist jedoch, dass immer mehr reguläre Arbeitsverhältnisse in Leiharbeitsverhältnisse umgewandelt werden - und dann auch noch schlechter bezahlt werden, obwohl das Risiko für die Menschen größer ist. Dabei wird die Massenarbeitslosigkeit, die ja nach wie vor existiert, rigoros ausgenutzt. In den Betrieben beginnt das immer mit Sachargumenten. Das fängt mit dem Argument an, dass Leiharbeit und Befristungen ja nur zur Abdeckung von Spitzen dienen würden. Heute liegt der Anteil solcher prekärer Arbeitsverhältnisse in vielen Betrieben bei 20 Prozent, bei manchen sind es sogar 50 Prozent. Ich glaube, die Gewerkschaften haben hier gegenüber denjenigen, die schwach sind und Schutz benötigen, eine Verpflichtung.
Was wollen Sie tun?
Wir müssen dort, wo wir die Kraft haben, Mindeststandards einfordern - etwa, dass Leiharbeiter bei gleicher Tätigkeit auch gleiche Bezahlung erhalten. Möglicherweise wird man am Ende hier auch zu einer tarifvertraglichen Regelung finden müssen.
Die Einführung des neuen Entgeltsystems Era hat in vielen Firmen für Streit gesorgt. Was ist schief gelaufen?
In den meisten Betrieben ist die Einführung relativ reibungslos verlaufen - bei allen Problemen, die es auch dort gab. In etlichen Betrieben gab es jedoch erhebliche Unruhe. Das lag vor allem daran, dass manche Unternehmer der Meinung waren, sie könnten mit dem Era 20 Jahre an betrieblicher Tarifentwicklung vertragswidrig zu ihren Gunsten zurückdrehen. Dabei sollte auch massiv in die Besitzstände der Beschäftigten eingegriffen werden. Eine gewachsene betriebliche Tarifentwicklung lässt sich jedoch nicht abschließend durch ein flächendeckendes System regeln - und muss in jedem Fall betrieblich ausgestaltet werden. Darauf waren vielleicht manche Belegschaften nicht vorbereitet.
Liegt es vielleicht auch am Era selbst, dass seine Akzeptanz in den Belegschaften bisher nicht allzu hoch ist?
Das glaube ich nicht. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Zukunft des Industriestaates Deutschland in Qualität, in innovativen Produkten liegt. Dafür bedarf es einer entsprechenden Qualifikation der Mitarbeiter. Das bedeutet wiederum, dass wir ein durchlässiges Entgeltsystem wie Era brauchen, in dem sich jemand durch ständige Weiterbildung von ganz unten nach ganz oben arbeiten kann. Dafür muss man die Wege öffnen und Anreize zur Weiterbildung setzen - was bei dem alten, nach Löhnen und Gehältern getrennten System nicht der Fall war. Ich kenne kein anderes arbeitspolitisches Modell, das ähnlich Erfolg versprechend ist wie der Era.
Im November steht die Neuwahl des IG-Metall-Vorstandes an. Beim letzten Gewerkschaftstag 2003 wäre die Gewerkschaft beinahe am Führungsstreit zerbrochen. Hat der gewachsene Druck des wirtschaftlichen und sozialen Umfelds die IG Metall wieder zusammenrücken lassen?
Ja. Wir haben 2003 und auch schon früher massiv Mitglieder verloren. Davon haben wir uns erst jetzt vollständig erholt und im ersten Halbjahr erstmals seit 2000 unsere Mitgliederzahl stabilisiert. Wir haben viel Lehrgeld bezahlt, jetzt sind wir zum Erfolg verdammt. Die Mitglieder haben ein Anrecht auf erfolgreiche Arbeit ihrer Führung. Das Schauspiel von 2003 wird sich daher nicht wiederholen. Gewerkschaften sind keine politischen Parteien, die regelmäßige Flügelkämpfe ertragen können.
Es gilt als sicher, dass Sie Jürgen Peters als 1. Vorsitzender nachfolgen werden - und der nordrhein-westfälische Bezirksleiter Detlef Wetzel Ihr Vize wird. Damit stünden zwei Reformer an der IG-Metall-Spitze.
Ich werde nicht über Namen spekulieren. Bei der Neubesetzung des Vorstands gilt es viele Dinge zu berücksichtigen. Wir wollen dies in einem Paket machen. Wir haben uns noch nicht abschließend besprochen, wollen dies jedoch bis spätestens September tun.
Stuttgarter Nachrichten vom 30. Juni 2007 Seite 15Letzte Änderung: 21.11.2007