Zeitarbeit
Die Leiharbeit boomt. Im Laufe des vergangenen Jahres waren nach Schätzungen mehr als eine Million Menschen bei Firmen tätig, die Arbeitskräfte an andere Betriebe ausleihen. Wer bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt ist, wird zwar oft schlechter bezahlt, ist aber kein Arbeitnehmer zweiter Klasse. Während es 1996 erst 180 000 Leiharbeitnehmer bei Randstad, Adecco, Manpower oder den mehr als 4000 anderen Zeitarbeitsfirmen gab, registrierte die Bundesagentur für Arbeit zehn Jahre später im Juni 2006 bereits fast 600 000 Beschäftigte bei den Zeitarbeitsunternehmen.
Wie funktioniert die Leiharbeit?
Der Arbeitskräfteverleih, der offiziell auch als "gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung" bezeichnet wird, funktioniert so: Ein Verleihunternehmen stellt einen Arbeitnehmer beispielsweise für acht Euro brutto pro Stunde ein, um diesen an wechselnde Betriebe zu verleihen. Die Entleihbetriebe zahlen dem Verleiher dafür pro Arbeitsstunde weit mehr. Der Vorteil für den Entleihbetrieb liegt vor allem darin, dass so ein vorübergehender Personalengpass ohne feste Neueinstellungen behoben werden kann.
Warum boomt die Branche?
Zum einen, weil Unternehmen bei besserer Konjunktur Beschäftigte zunächst ungern fest einstellen. Zum Boom der Branche hat aber auch die Lockerung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) beigetragen, das die Regeln zur Leiharbeit bestimmt.
Was hat sich da geändert?
Früher war die Dauer der gewerbsmäßigen Überlassung eines Arbeitnehmers zwischen der Zeitarbeitsfirma (Verleiher) und dem entleihenden Unternehmen auf drei Monate, später auf zwei Jahre befristet. Seit 2003 ist die zeitliche Begrenzung ganz entfallen. Auch das sogenannte Synchronisationsverbot gilt nicht mehr. Danach war es früher den Zeitarbeitsunternehmen verboten, Arbeitsverträge mit ihren Beschäftigten auf die Dauer des Einsatzes bei einem Entleiher zu befristen.
Darf ein Arbeitnehmer auch befristet für einen Auftrag eingestellt werden?
Ja. Es gelten die gleichen Bestimmungen zum Arbeitsrecht und Kündigungsschutz wie für alle anderen Beschäftigten. Nach Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sind die meisten Leiharbeitnehmer auch nur weniger als drei Monate bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt. Allerdings: Solange der (befristete) Vertrag läuft, ist die Verleihfirma verpflichtet, den vereinbarten Lohn zu zahlen ? auch wenn es gar keinen Arbeitseinsatz gibt.
Wie steht es um die Bezahlung der Leiharbeitskräfte?
Die Verleihfirmen wurden 2003 vom Gesetzgeber verpflichtet, den Zeitarbeitnehmern dasselbe Arbeitsentgelt zu zahlen und dieselben Arbeitsbedingungen zu gewähren wie vergleichbaren Stammbeschäftigten in den Entleihbetrieben. Doch: Das in Paragraph 9 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes geregelte Prinzip "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" (equal pay) darf durchbrochen werden, wenn "ein Tarifvertrag abweichende Regelungen" zulässt.
Ist das häufig der Fall?
Ja. Etliche Zeitarbeitsverbände haben mittlerweile solche Tarife abgeschlossen - zum einen mit den christlichen Gewerkschaften, zum anderen mit den DGB-Gewerkschaften. Das "Equal-Pay-Prinzip" wurde dadurch ausgehebelt. So verdienen viele Leiharbeiter weiterhin für die gleiche Arbeit rund 30 Prozent weniger als ihre Stamm-Kollegen im Entleihbetrieb. Insbesondere die mit den christlichen Gewerkschaften ausgehandelten Löhne liegen am unteren Ende der Skala und in der Nähe dessen, was als sittenwidrig angesehen wird.
Welche Tarife gelten denn?
Ganze 5,90 Euro darf der Stundenlohn in den drei niedrigsten Stufen während der ersten sechs Beschäftigungsmonate betragen, wenn es nach dem Vertrag zwischen der christlichen CGZP und dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister geht. Die Sätze, die die DGB-Gewerkschaften mit dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) und dem Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen (BZA) ausgehandelt haben, liegen höher. So beträgt hier zum Beispiel der Eingangsstundenlohn in der niedrigsten Entgeltgruppe I (Tätigkeiten ohne oder nur mit kurzer Anlernzeit) in diesem Jahr 7,38 Euro in Westdeutschland. Anders als die christlichen Verträge sehen die des DGB auch Zuschläge zwischen zwei und 7,5 Prozent vor, wenn Leiharbeitnehmer zwischen drei und über zwölf Monate ununterbrochen beim gleichen Kunden tätig sind.
Wie viele Entgeltgruppen gibt es denn laut Tarif?
Insgesamt sind es ? nach Qualifikation gestaffelt ? neun Entgeltgruppen. Sie reichen vom Qualifikationskriterium "kurze Anlernzeit" bis "(Fach-)Hochschulstudium plus mehrjährige Berufserfahrung". Für diese höchste Stufe sieht zum Beispiel der Vertrag zwischen DGB und BZA derzeit einen Stundensatz von 16,69 Euro vor. Tipp: Welcher Tarifvertrag gilt, sollte man vor der Unterschrift unter einen Arbeitsvertrag bei der Verleihfirma erfragen. Ob ein Verleihunternehmen Mitglied im BZA ist, erfährt man auch per Internet unter www.bza.de.
Wird es einen einheitlichen Mindestlohn in der Branche geben?
Das ist möglich. Um den Niedrigstlöhnen einen Riegel vorzuschieben, haben die DGB-Gewerkschaften im letzten Jahr mit den beiden großen Zeitarbeitsverbänden BZA und iGZ einen neuen einheitlichen "Tarifvertrag zur Regelung von Mindestarbeitsbedingungen in der Zeitarbeit" abgeschlossen. Der Vertrag wird aber von den christlichen Organisationen und den mit ihnen kooperierenden Zeitarbeitsunternehmen heftig bekämpft. Er kann erst dann wirken, wenn "die Arbeitnehmerüberlassung in den sachlichen Anwendungsbereich des Entsendegesetzes aufgenommen" wird, wie es in der Präambel heißt.
Ist das denn jetzt möglich?
Ja, denn die Regierungskoalition hat sich im Juni darauf verständigt, dass das Entsendegesetz auf Branchen ausgeweitet werden kann, in denen mindestens die Hälfte der Beschäftigten tarifgebunden sind. Sofern dann die DGB-Tarife als allgemeinverbindlich anerkannt würden, gäbe es in der Zeitarbeitsbranche ab 2008 einen Mindestlohn von 7,31 Euro im Westen und von 6,36 Euro im Osten Deutschlands.
Welche Urlaubsansprüche haben Zeitarbeitnehmer?
Nach dem Mantel-Tarifvertrag zwischen BZA und DGB beträgt der bezahlte Urlaub im ersten Jahr 24 Arbeitstage. Dann steigert sich der Anspruch stufenweise auf 30 Arbeitstage ab dem fünften Beschäftigungsjahr. Nach sechs Monaten Beschäftigung haben Leiharbeitnehmer nach diesem Tarif Anspruch auf zusätzliches Urlaubs- und Weihnachtsgeld (150 bis 300 Euro, je nach Beschäftigungszeit).
Was gilt beim Arbeitsschutz?
Für die Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen ist das entleihende Unternehmen zuständig. Schutzmittel ? wie etwa Helme oder Ohrstöpsel ? müssen von der Leiharbeitsfirma gestellt werden.
Darf die Zeitarbeitsfirma eine Anstellung beim Entleihbetrieb verhindern?
Nein. Das AÜG regelt ausdrücklich, dass Vereinbarungen unwirksam sind, die "dem Entleiher untersagen, den Leiharbeitnehmer zu einem Zeitpunkt einzustellen, in dem dessen Arbeitsverhältnis zum Verleiher nicht mehr besteht". Arbeitsverträge mit Verleihunternehmen können mit den üblichen Fristen gekündigt werden. Danach können Ex-Zeitarbeiter beim Entleihbetrieb angestellt werden.
Sind Betriebsräte für Zeitarbeitnehmer zuständig?
Nur bei wenigen Zeitarbeitsfirmen gibt es Betriebsräte. Die Leiharbeiter können sich jedoch an die Betriebsräte der Entleihunternehmen wenden. Diese sind auch für sie zuständig. Wer über drei Monate in einer Firma eingesetzt ist, darf sich auch an der dortigen Betriebsratswahl beteiligen.
Süddeutsche Zeitung vom 29.08.2007, Seite 21
Auch Leiharbeiter haben Rechte
Von Rolf Winkel und Hans Nakielski
Letzte Änderung: 21.11.2007