Gleiche Arbeit, gleiches Geld

06.09.2007 Leiharbeit wird missbraucht, um reguläre Beschäftigung zu ersetzen. Von Detlef Wetzel Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen

Die Politik kann diese Kultur der sozialen Verantwortungslosigkeit beenden. Erste Anzeichen für ein Umdenken gibt es - nun müssen Taten folgen.
Auf ungläubige Verwunderung trifft, wer mit europäischen Nachbarn über die Bedingungen von Leiharbeit in Deutschland spricht. Wieso soll jemand, der die volle Arbeitsleistung bringt, nur das halbe Einkommen erhalten?

So etwas kann sich beispielsweise in Frankreich oder in den Niederlanden niemand vorstellen. In Frankreich gibt es nicht nur gleiches Geld und vergleichbare Arbeitsbedingungen für Leiharbeiter, dort gibt es zusätzlich eine Prekaritätsprämie in Höhe von zehn Prozent des Lohns. Denn wer nur vorübergehend arbeitet, trägt ein besonderes Erwerbsrisiko. Auch in den Niederlanden und in den meisten anderen europäischen Ländern sind die Grundsätze von "Equal Pay" und "Equal Treatment" unumstrittene Praxis. Diese Grundsätze bringen etwas Sicherheit in die wachsenden Flexibilitätsanforderungen an die Beschäftigten.

Die europäische Straße der Arbeitsbeziehungen ist in dieser Hinsicht also schon ganz ordentlich ausgebaut, mit den Werten Sicherheit und Fairness als Leitplanken. Anders ist es in Deutschland. Solide Leitplanken fehlen hier, und es sind Geisterfahrer unterwegs.

In Deutschland wird Leiharbeit fast durchgängig wesentlich schlechter bezahlt als reguläre Beschäftigung, oft gibt es bis zu 50 Prozent weniger. Und das bei gleicher Tätigkeit und Leistung. Das Durchschnittseinkommen der etwa eine Million in Leiharbeit Tätigen gehört zu den geringsten im Branchenvergleich.

Damit nicht genug. Etwa die Hälfte der Unternehmen mit Leiharbeitnehmern ersetzen mithilfe dieses Instruments ihre regulär Beschäftigten. Nicht selten wird einem zuvor Entlassenen kurze Zeit später der frühere Arbeitsplatz mit einem neuen Vertrag als Leiharbeitnehmer angeboten, dann zu deutlich verschlechterten Konditionen. Statt um faire Wege zu gesteigerter Flexibilität geht es in diesen Unternehmen schlicht und einfach allein um steigende Rendite auf Kosten gleicher Bezahlung und sicherer Arbeit. Und diese Unternehmen umgehen auch noch jegliches Risiko: Leiharbeitskräfte werden geholt, wie es der tägliche Bedarf gerade erfordert.

An einem Beispiel wird deutlich, wohin diese Entwicklung führt: Der in Rede stehende Betrieb mit 250 Stammbeschäftigten fordert in der einen Woche 80 Leiharbeitnehmer an, in der nächsten 130 und zu manchen Zeiten gar 250. Die Verantwortung für die Auslastung der Beschäftigten und damit für ihre Arbeitsplätze und ihr Einkommen hat dieses Unternehmen weitgehend ausgelagert. Auch die beauftragten Zeitarbeitsunternehmen wissen ihre Verantwortung abzuladen: Sie schließen mit ihren Leiharbeitnehmern Verträge zum Beispiel über 110 Stunden pro Monat, lassen sie aber oft volle 152 Stunden arbeiten. Gezahlt werden immer nur die 110 Stunden. Jede weitere Stunde geht in ein Zeitkonto. Das wird abgeräumt, wenn die Arbeitskraft im Einsatzbetrieb mal nicht gefragt ist. Wer so arbeitet, muss mit 811,80 Euro brutto auskommen statt mit 1121,67 Euro für 152 Stunden.
Auf ungläubige Verwunderung trifft, wer mit europäischen Nachbarn über die Bedingungen von Leiharbeit in Deutschland spricht. Wieso

So bleibt einzig am Leiharbeitnehmer das unternehmerische Risiko hängen, und das bei einem Einkommen, das arm macht. Die Gemeinschaft der Beitrags- und Steuerzahler wird von diesen Unternehmen gleich mit zur Kasse gebeten. Denn solche Löhne machen eine Lohnaufstockung nach Hartz IV erforderlich, um eine Familie ernähren zu können. Und für Rentenbeiträge, die vor Altersarmut schützen, reichen die Einkommen auch nicht.

Mit der geschilderten Praxis bleiben zugleich die notwendigsten Weiterbildungsinvestitionen in den Unternehmen auf der Strecke. Die Betriebe setzen auf die Zeitarbeitsunternehmen, die ihnen die benötigten Arbeitskräfte liefern anstatt selbst in die Qualifizierung der Beschäftigten zu investieren. Aber auch die Zeitarbeitsunternehmen scheuen Weiterbildungsinvestitionen, denn sie werden ihre Beschäftigten überwiegend nicht auf Dauer halten.

Hinzu kommt die Praxis der Bundesagentur für Arbeit, die dabei ist, ihren Vermittlungsauftrag in reguläre Arbeit weitgehend aufzugeben, die für die Qualifizierung zu neuer Beschäftigungsfähigkeit kaum noch etwas leistet und die Menschen immer mehr dazu treibt, auch die unwürdigsten Arbeitsbedingungen anzunehmen.

Mit dieser Kultur der sozialen Verantwortungslosigkeit ist der Standort Deutschland nicht weiter zu entwickeln. Diejenigen aber, die ihm am meisten schaden, klagen am lautesten über fehlende Fachkräfte und die angeblich mangelnde Flexibilität in den Arbeitsmärkten.

Mit dem Grundsatz "Gleiche Arbeit - gleiches Geld" streiten deshalb Betriebsräte und Belegschaften für faire Bedingungen beim Einsatz von Leiharbeitnehmern und die Begrenzungen der Einsätze in den Betrieben. Unmissverständlich richten sie sich zugleich an die Politik. Von der gibt es jetzt erste, deutliche Anzeichen für ein Umdenken. Dem müssen Taten folgen - mit einem veränderten Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, das die Türen für den Missbrauch von Zeitarbeit, für den Ersatz regulärer Beschäftigung durch Leiharbeitnehmer und für Lohndumping dauerhaft schließt. Nur so kann der gesicherte Rahmen geschaffen werden, der bei akzeptierten Flexibilitätserfordernissen in den Firmen Leiharbeit zu fairen Bedingungen ermöglicht.

Detlef Wetzel ist Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen und designierter Vizevorsitzender der Gewerkschaft.

Aus der FTD vom 05.09.2007
© 2007 Financial Times Deutschland

Letzte Änderung: 21.11.2007